ich bin/ wir sind

Mit dem Rrojekt „ich bin“ im Galerie-Cafe Mayr entwickelte sich nach meiner unfreiwilligen Rückkehr nach Oberösterreich ein selbst-therapeutisches Unterfangen – das ich dann bei „wir sind“ einer größeren Öffentlichkeit zur Verfügung stellte. 49 Kopien meiner beiden Hände entstanden, rote Tinte auf gelben Blättern. Diese kaschierte ich auf Hartfaserboxen und stellte sie in besagtem Cafe aus.

Diesen offensiven Umgang mit meiner eigenen Beeinträchtigung stellte ich ein Jahr später als Aufgabe den SchülerInnen der 3. Klasse der HBLA Steyr. Sie wurden dazu ermuntert, „Problemzonen“ ihres Körpers zu entblößen – und diese Entblößung in einem gemeinsamen Kunstwerk sichtbar zu machen. So gelangten im Schulgebäude der HBLA beide Kunstwerkgruppen – ich bin und wir sind gegenüber zu hängen. Das Bundesministerium für Unterricht und Kunst kaufte beide Werkblöcke an, damit konnten sie in der Schule verbleiben.


Wir leben, als ob es das nicht gäbe:

Schmerz, Alter, Tod

Wir scheinen keinen Platz mehr zu haben

für Defektes, Trauriges und Leistungs-

Unfähiges.

Sei jung, zeige Deine Kraft, zeige Deine

strahlenden Zähne und Deinen perfekten

Körper.

Was ist dann, wenn uns die Kraft verläßt,

wenn wir einsam um Hilfe rufen, und

niemand hat Zeit, unseren Schmerz und

unsere Hilf-losigkeit zu ertragen?

Auch schwach sein dürfen, un-perfekt,

Mensch, und auch dann – oder gerade dann

– geliebt werden.

Gott schütze uns vor einer perfekten Welt.

Zeige Deine Wunde.

Schwanenstadt im März 1994


„Ich bin“: Nachdenken über das Anders-Sein

Vöcklabruck (mac).

Interessante, aufwühlende und nachdenklich machende Kunst muß nicht immer in geheiligten Galerieräumen passieren. Den Paradebeweis dafür liefert ein Werk des Schwanenstädter Künstlers Hermann Staudinger, das derzeit im Galerie-Cafe Mayr ausgestellt ist. Obwohl 49 Einzelobjekte zu sehen sind, handelt es sich streng genommen bloß um eine einzige wohldurchdachte Präsentation. Auf 49 Blättern orangem Kopierpapier stellt der Künstler seine Hände dar.

Diese Arbeit lebt von diesen Händen, denn es sind keine „normalen" Hände. Bei der einen fehlen die Finger - der nierenförmige Stumpf, immer und immer wiederkehrend, zieht den Blick des Betrachters fast magisch an, verunsichert. Der Künstler hat die Verstümmelung im zweiten Lebensjahr erlitten und mußte lernen damit zu leben. Die Konfrontation mit der Zerstörung der heilen Welt ist für den Betrachter arg, gerade in einer Zeit, in der Schönsein und Starksein fast als Muß gelten.

Diese Arbeit lebt von der seriellen Erscheinung, denn die Wiederholung macht sie eindringlich und unausweichlich.

Diese Arbeit lebt vom Ort ihrer Präsentation. Das Kaffeehaus, ein öffentlicher Raum, dienlich der Entspannung und der lockeren Konversation, mutiert plötzlich zu einem Ort des Nachdenkens über die Grenzen zwischen normal und abnormal, der Norm und dem Anders-Sein.

Hermann Staudinger ist einer jener zornigen jungen Männer, die die Kunstwelt braucht. Nicht das Abgeleckte interessiert ihn, sondern die Bruchstellen der Gesellschaft, über die man nicht gerne spricht. Seine konzeptuellen Ansätze treffen punktgenau den freigelegten Nerv. Seine Arbeit spiegelt unsere Unfähigkeit wider, mit jeder Form von Andersartigkeit, nicht nur körperlicher, auch geistiger Natur, fertig zu werden.

Wolfgang Macherhammer in den Oberösterreichischen Nachrichten, Herbst 1994


ich bin - Interview 2 vom 21.9.1994

Herr Staudinger, in medias res, was bedeutet „ich bin“, was wollen sie damit ausdrücken?

Nun, zuallererst mal, daß ich eben bin, ganz einfach. Ürsprünglich hätte die Ausstellung „Zeige Deine Wunde“ heißen sollen, das wurde aber dann noch geändert.

Wieso das?

„Zeige Deine Wunde“ hat noch diesen Imperativ. Wie ein Mensch, der dar Gesellschaft zuschreit, „Jetzt werdet doch endlich anders!“ Ich hab mich da als Werkzeug verstanden MIT dem etwas zu verändern wäre. Ein Sprachrohr, das spricht: „Zeigt Euch wie Ihr seid, und diese Welt wird eine schönere.“ Naja, da kann man dann als Zuhörer dazu stehen wie man will, man wird zu etwas aufgefordert und sollte darauf reagieren. So hab ich sozusagen mein Ego auf mehrere ausgedehnt, weil ich auch glaubte, es würde mehr bewegen. Heute, jetzt denke ich, daß es wahrscheinlich des größeren Mutes bedarf, einfach sich selbst zu zeigen, ohne in irgendein Nützlichkeitsdenken hineinzugeraten. Einfach sich hinzustellen und zu sagen: „Ich bin“. Das ist einfacher, weil ich mich in nichts verstricke, gleichzeitig schwieriger, weil ich mich nicht hinter Werkzeugen verstecken kann.

Es gibt diesen schönen Satz vorn Josef Meinrad: „Ich habe nicht das Bedürfnis die Welt zu verändern, und wenn, dann nur durch mein Sein“ Wie könnte das aussehen, durch „Sein“ verändern?

Politik passiert in jeder Art von Kommunikation. In dem Moment, wo ich mich so zeige, wie ich bin, im Kontakt zu dieser unserer Welt und Gesellschaft, bin ich politisch tätig, ob Ich es will oder nicht. Die Selbstverständlichkeit des eigenen Da-seins zu leben, zu sein, das ist es doch, wo alle Menschen in ihrem Leben hinzielen. Nun, ich stelle sozusagen meinen Weg zur Verfügung. Ich sage quasi: „Ich bin nackt“. Vielleicht kommt der eine oder andere drauf, daß es auch für ihn/sie möglich ist, einfach nur nackt zu sein. Das wäre eine schöne Wirkung. Aber, wie gesagt, davob kann Ich nicht ausgehen. Zuerst muß ich mich selbst befreien, und das mache ich auch mit Hilfe dieser Ausstellung.

Was zeigen Sie?

Technisch ganz einfach: Photokopien meiner beiden Hände. Einfach aufs Glas des Kopierers gelegte von Bild zu Bild bewegt (es sind 49 Bilder) und mit der Linse des Kopierers fotografieren lassen. Die Tinte ist Rot, die Hände gelb, wie das Papier. Das ist eine schöne, warme Farbkombination, die leuchtet wie die Sonne. Diese Kopien hab ich dann auf Schachteln aufkaschiert, damit ich einen Körper bekomme (es ist ja eine Körper-arbeit), genau so dick, wie meine Hände an der dicksten Stelle sind.

Ja, aber eine der beiden Hände ist amputiert?!

Das ist richtig. Mit 2 Jahren bin ich in eine Küchenmaschine gekommen, die hat mir meine Finger abgetrennt. Motorisch war das nicht so eine Beeinträchtigung wie psychisch. Stellen Sie sich das vor: ein lieber Junge mit einem unschönen Handstumpf. In unserer heilen Welt war ich sozusagen der Störenfried, der, der an Vergänglichkeit, Trauer und Schmerz mit seiner körperlichen Präsenz erinnert hat. Keine leichte Stellung, wo man ständig im Scheinwerferlicht sitzt, ohne sich zu einer Rolle berufen zu fühlen. Nun, heute ist es nicht mehr so.

Ein Mensch und meine Liebe zu ihm haben das verändert. Endlich konnte ich mir, 28 Jahre nach diesem Unfall, den Schmerz eingestehen. Als Kind kapiert man das ja nicht.

Das heißt. Ihre Ausstellung ist eine Selbst-Therapie?

Ja, ich denke so kann man es auch sehen. Indem ich damit in die Öffentlichkeit gehe, stelle ich ein Beispiel zur Verfügung. Ich bin ja ein Mensch und kein Einsiedlerkrebs. Wenn Kunst von Künden kommt, wie es Beuys behauptet hat, dann künde ich eben von meinem derzeitigen Prozeß, vom Stand der Untersuchungen. Ich versuche das, so ehrlich und aufrichtig es mir möglich ist.

Ja, aber zwingen Sie die Öffentlichkeit nicht dazu, sich mit Ihrer Behinderung auseinanderzusetzen, sg. quasi als Rache für erlittenes Unrecht?

Das wäre schade, wenn es so verstanden werden würde. Ich habe versucht zu zeigen, daß eine Wunde nichts Häßliches ist. Wir haben doch alle immens Leid erfahren, bei mir kann man das halt optisch erkennen. Wahrscheinlich ist es gerade das, was uns verbindet, diese Brüchigkeit und Vergänglichkeit des Lebens. Wir sind wirklich nur Gäste auf dem Tisch des Lebens. Aber als Gast kann ich ja durchaus teil-haben, genießen und wieder gehen, dann, wenn das Fest vorbei ist. Als Gast gibt man ein Gastgeschenk, es gibt ja nichts ohne Austausch. Mein Geschenk ist, daß ich mich zeige, wie ich bin. Wie eine persische Freundin zu mir gesagt hat: Du brauchst keine Blumen mitzubrigen. Du selbst bist die schönste Blume. das will ich sagen: Wir sind alle Blumen. Wir, das Leben.

Wir danken für das Gespräch.

Danke auch.


Interview 1

Herr Staudinger, als Erstes: „Zeige Deine Wunde“, was will das sagen?

Ich denke, wenn dieses Unaufrichtigkeitstheater zwischen den Menschen, und damit auch im Umgang mit sich selbst, abgeschafft wird, überführt in eine erdigere, ehrlichere Form des Umgangs, dann haben wir vielleicht wieder so etwas wie Menschlichkeit in der Alltagskultur. Die muß dann nicht im christlich-katholischen Sinn von oben herab aufgesetzt werden, sondern könnte ganz von selbst entstehen, indem einfach einer anfängt damit, nicht seine tieferen Gefühle zu überspielen, damit er im Wirtshaus an den Stammtisch paßt, oder in die Disco mit der glattgeschleckten Frisur; ja. Indem der anfängt und sagt: „Es freut mich nicht, es paßt nicht, ich kann nicht ständig gut drauf sein“. Noch schöner wärs, würde er/sie sagen können: „Ich bin traurig heute“.

Die Depressionen heute sprechen ja diese deutliche Sprache, daß da die Seele schreit, „Hör auf mich!“. Das kann man ja heute so schwer, wenn alle in den Fernseher schauen anstatt in sich selbst.

Aber warum dann: „Zeige Deine Wunde“?!

In dem Moment, wo ich mir selbst etwas eingestehe, eine Schwäche oder sonst irgendwas was halt nicht nach dem kopfigen Willen funktioniert, in diesem Moment fällt die ganze Last des Unaufrichtigseins, von mir ab. Ich bin vielleicht kleiner dann als ich gedacht habe, oder weniger schön, gut, … aber ich bin ich. Damit bin ich der freieste Mensch auf der Erde!

Das zu zeigen, das finde ich ist eine der Aufgaben der echten Kunst, wie ich sie verstehe. All diese formalistischen Ästheten, die hier ein Pfündchen dazugeben und da einen Hauch Oberfläche abziehen, das finde ich eigentlich nur als Kopf-Sandspiel interessant, die Fragen …

Ist aber nicht gerade die Vielfalt das, was die Kunst mit ihrem Ruf nach Freiheit auch erreichen wollte?

Soll sein, Dinge ohne Leben, ohne Kraft, ohne Wunde sind für mich mittlerweile fast abstoßend. Selbst beim großen Werbegrafiker Warhol gibts ja immer diesen „Geruch“ des Unperfekten, das Sieb, das aussetzt, die Stärke der Farbe, … Darin besteht für mich ja seine Leistung, daß er diese ganze Werbesprache, die auf den „zivilisierten“ Menschen einfällt, daß er die rückübersetzt hat ins Brüchige, Unperfekte. Darin, in dieser Fehlerhaftigkeit, darin ist er GROSS. Er zeigt seine Wunde - Viele werden das nie begreifen.

Gibt es sonstige Referenzen zur etablierten Kunst, wie sie der Markt definiert?

Natürlich, einige! Kunst ist mein Leben und meine Liebe. Für mich ist Leben Kunst, Kunst Leben, und daß das in unserer Hemisphäre getrennt wurde, finde ich eine riesige Sauerei! Teile und regiere. Hier der Kunst diese Schublade, der Religion jene, die Wissenschaft deckt das ab … Eine Farce! Alles ist MENSCH! So kann man diese Wissenschaft, Religion, Philosophie … vom Menschen wie ich sie mir erträume und -schaffe am ehesten mit „Kunst“ bezeichnen.

Also zurück zur Frage: Welcher Künstler hat Bedeutung für Sie?

Generell Jeder! Aber was Sie hören wollen sind Namen. Es gibt einen wunderschönen Menschen, Joseph Beuys, der hat ein Bild gemalt, auf dem steht: „Hiermit gebe ich meinen Austritt aus der Kunst bekannt.“ Großartig! Da hat mir das Herz gelacht! Der hats verstanden: Schamane, sagen wir lieber Priester, Lebenskundler, Anthroposoph, Lehrer, … der war so ein Aufzeiger. „Kunst kommt von Künden“ hat der gemeint, keiner, der der Karriere wegen in die Kunst gegangen ist, sondern weil er etwas zu sagen hatte, nachdem er im 2. Weltkrieg einen Absturz knapp überlebt hatte. Das hat ihn zum Künstler gemacht, der war schon drüben auf der anderen Seite, und hat gesehen, daß es da nichts gibt, vor dem man sich fürchten müßte, wenn der Tod kommt – den Rest seines Lebens hat er das gekündet, ein wirklich schöner MENSCH für mich.

Gehen Sie da in Ihrer Interpretation nicht ein bißchen zu weit?

Ach, woher denn! Diese Kunstschreiber, die sich immer nur der Tür der Wahrheit nähern, sie aber nie öffnen, Feiglinge! Das Denken kann so groß und so weit sein, das wollen gerade heute viele überhaupt nicht wahrhaben, es könnte ja Angst machen. Wir sind in einer Gartenzwergwelt gelandet – als Riesen! Ein schönes Bild, schon wieder etwas produziert heute!

Das erinnert an Goliath, und DER wurde von einem Zwerg, David, getötet.

Goliath war ein Großmaul, der sich unverwundbar wähnte. Hätte der seine Wunde gezeigt, wer weiß ob die Geschichte nicht anders verlaufen wäre. Ob Riese, Engel, Verbrecher, Guter, ganz egal. Unsere WUNDEN, unsere Verletzlichkeit, unser Leiden an und mit dieser Welt, das verbindet uns Lebewesen mehr als alles andere. Jeder hat seine Toten zu betrauern, seine Unerfüllbarkeiten und Gebrechlichkeiten, ist der Geist auch noch so stark, als Lebewesen werden wir immer auch leiden. Warum da nicht hergehen, das zugeben, Karten auf den Tisch?!

Mit dieser Ausstellung zeige ich eine meiner Wunden, meinen rechten Handstumpf, der nach einem Unfall mit 2 Jahren so amputiert wurde. Ich habe lange unter diesem Schmerz gelitten und ihn nie ansehen und zugeben können. Das kennt ja jeder: ich hab einen Panzer drübergelegt und hab mein Herz gegen mich selbst und alle anderen verhärtet. Ein anderer Mensch und die Liebe zu ihm haben das alles, was ich längst sicher verwahrt glaubte, wieder aufgebrochen. Eine weitere Wunde, da müßte ich eine eigene Ausstellung machen.

Herr Staudinger, wir danken für das Gespräch.

Ich danke.