Schatten und Aufleuchten
Einige Bemerkungen zur Kunst von Hermann Staudinger
Markant für die Kunst von Hermann Staudinger ist die durchgehende Verwendung von Gold, genauer gesagt von Blattgold unterschiedlicher Legierung. Früher wurden Objekte vergoldet, später folgen Flächen, die als Bildträger unterschiedlich bearbeitet werden. Da gibt es die vergoldete Fläche als Hintergrund für einen Digitaldruck auf Plexiglas. Oder es gibt den Digitaldruck auf die vergoldete Fläche selbst. Oder die „Gravuren“ genannten Arbeiten. Dabei wird über die vergoldete Weichholzfläche ein Blatt Papier mit der Kopie des Sujets gespannt. Mit hartem Bleistift werden Schraffuren gezogen, dicht aneinander, und das Sujet auf diese Weise in den weichen Grund gedrückt. An den dem Druck ausgesetzten Stellen wird das Blattgold matt. An das Negativ einer Photographie erinnernd erscheint die auf der Vorlage abgebildete Landschaft im Schimmer des Goldes. Die Sujets der Arbeiten von Hermann Staudinger sind in der Regel Landschaften oder Architekturen, selten Figuren. Es kommt wohl weniger auf das Abgebildete selber an als vielmehr auf eine besondere Form der Erscheinung von Sichtbarem. Verwandt mit den Gravuren sind jene Arbeiten, die aus einer vergoldeten Fläche bestehen, die abgerieben wurde. Wo die Blattgoldflächen einander überlagern, bleibt das Gold bestehen, sonst wird der Bolus sichtbar. Wie ein schimmerndes Netz liegt das Gold über der Fläche des Grundes.
In der Kunst Europas hat das Gold eine vielfältige Rolle gespielt. In der Spätantike gibt es bereits den vergoldeten Bildgrund, der dann in der Kunst des Mittelalters ab dem frühen 10. Jahrhundert von großer Bedeutung wird. Er ist räumlich zu verstehen, als eine Art Raumgrund für die Figuren. Das Gold mit seinem Glanz weitet die Fläche ins Räumliche. Im späten Mittelalter wird dieser unbestimmte Raum in einen Landschaftsraum umgedeutet. Wenn wir das Kunstwerk als eine eigenständige Schöpfung eines namentlich fassbaren Individuums verstehen, dann entsteht die Kunst im 14. Jahrhundert. Giotto kann in gewisser Hinsicht als ihr Ahnherr verstanden werden, da ihm die Konstruktion eigenständiger und in sich geschlossener Bilder zugeschrieben werden kann. Bezeichnenderweise eröffnet Giotto die Künstlerbiographien Vasaris. In den Fresken Giottos ist der Goldgrund durch monochromes Blau ersetzt. Ab dem 15. Jahrhundert verliert sich die Bedeutung des Goldes im Bild. Das Gold wandert in die Rahmen, in Teile der Architektur, in Glanzlichter. Figuren werden vergoldet, doch das Gold des räumlichen Grundes ist verloren gegangen. Nun tauchen die Gestalten aus einem Hell-Dunkel-Milieu auf. Und wenn Räume des Barocks im Dunkel erlebbar sind, zeigt sich, dass das Gold mit seiner Fähigkeit, auch kleinste Lichtimpulse zu reflektieren, eine Art Lichtarchitektur entstehen lässt, einen Raum, in dem ein merkwürdiges Entgegenkommen aus dem Dunkel zu erfahren ist.
Mit der Abkehr vom Abbildhaften und der Hinwendung zum Material in seiner eigenständigen Wirkung wird in der Moderne auch das Gold neu entdeckt. Vielfach haftet ihm die Aura des Sakralen, äußerst Kostbaren an. Dementsprechend wird Gold eingesetzt, um Personen oder Gegenständen eine besondere Ausstrahlung zu verleihen. Das macht die Verwendung des wirkmächtigen Metalls auch verdächtig. Allzu schnell gewinnt das Spektakuläre die Oberhand, während die künstlerische Gestaltung auf der Strecke bleibt. Eine große Ausstellung im Belvedere, kuratiert von Thomas Zaunschirm, hat 2012 eine Fülle von Beispielen für die Verwendung von Gold in der Kunst versammelt. Damals konnte die Verwendung von Gold in der Kunst seit dem 19. Jahrhundert sehr gut dokumentiert werden. Arbeiten von Hermann Staudinger waren in dieser umfassenden Schau zu sehen.
Im Umgang mit Gold hat sich Hermann Staudinger über die Jahre eine eigenständige Position erarbeitet. Am deutlichsten wird das bei den „Gravuren“. Die charakteristischen Merkmale einer Künstlerhandschrift sind in ihnen fast völlig getilgt. Hier wird kein virtuoses Bildgestalten in Szene gesetzt. Vielmehr hat das Entstehen der Bilder etwas sehr Meditatives, zugleich auch das Anspruchsvolle intensiver körperlicher Tätigkeit. Denn das stundenlange Legen von Schraffuren ist anstrengend, es erfordert Kraft und Ausdauer. Was entsteht, ist in gewisser Hinsicht ein Relief. Durch den Druck des Bleistifts wird die Oberfläche der Holzplatte leicht eingedrückt. Das schimmernde Gold wird in den Vertiefungen matt. Wie ein Schatten erscheint die auf der Vorlage abgebildete Welt im Leuchten der verbliebenen und nicht bearbeiteten Goldfläche. Die sichtbare Wirklichkeit erscheint als eintönige Verdunklung. Zugleich wirkt das Ganze als ein vom Glanz des Goldes, eines lichterfüllten Raumes, getragenes und durchatmetes Stück Welt. Hermann Staudinger gelingt es so, Alltägliches und Unspektakuläres in den Rang des Wunderbaren zu heben.
Etwas Ähnliches geschieht auch, wenn die auf ein Plexiglas gedruckten Bilder mit einem geringen Abstand vor einer vergoldeten Fläche montiert werden. Das Bild wirft Schatten auf die leuchtende Fläche. Und von hinten durchleuchtet die Goldfläche das Abgebildete. Spektakulär sind mitunter die auf Goldfläche gedruckten Landschaften und Architekturdetails, Stufen oder Fenster. Das Gold erscheint als intensive Lichtquelle oder erfüllt das Gegenständliche mit einem Schimmer, der ihm alle Schwere nimmt. Diese Arbeiten erfordern eine hohe Disziplin im Umgang mit den Möglichkeiten des Materials, in gewisser Hinsicht ein Fasten im Einsatz der machtvollen Mittel. Diese Bereitschaft zum Fasten zeigt sich auch in den vergoldeten und abgeriebenen Flächen, den „Goldwänden“. Hier kommt es auf ein Innehalten im rechten Moment an, gerade dann, wenn der nüchterne Grund und die Reste des kostbaren Materials sich in einer Schwebe halten.
Hermann Staudinger ist es in seiner beharrlichen und langjährigen Arbeit gelungen, im Umgang mit dem schwierigen und äußerst anspruchsvollen Material Gold eine Kunst zu schaffen, die den Zauber der einfachen Dinge dieser Welt mit dem Zauber eines einzigartigen Materials verbindet. Und zwar so verbindet, dass ein Zauber den anderen durchwirkt, dass im Schatten und im Aufleuchten beides präsent wird, die Flüchtigkeit dieser Welt und ihr immer neues Entgegenkommen und Erwachen.
Gustav Schörghofer SJ